Vorstellung der j@ Börse zu Pressekonferenz am 24.4.2003 im „komm“ in Bad Pyrmont

 

Ulrike Vogelsang,      Physiotherapeut und Lehrkraft  an der Fachschule für Physiotherapie in Bad Pyrmont

 

 

 

 

 

Begrüßung

 

Wir möchten Ihnen die j@ Börse vorstellen – eine Kooperationsbörse für jung und alt im Internet

 

Sie werden sich fragen

·        Wozu braucht Bad Pyrmont eine Internetbörse für jung und alt

·        Was hat Pyrmont, bzw. jung und alt von so einer Börse

 

Wir wünschen uns, dass wir mit dieser Präsentation Ihr Interesse und Ihre Bereitschaft wecken, dieses Projekt zu  unterstützen und zu verbreiten.

 

 


Entstehungsgeschichte

 

Es gab in der Vergangenheit viele Ideen, Diskussionen, Erinnerungen der Vergangenheit und Gedankliche Verknüpfungen die schließlich das Projekt der j@ Börse entstehen ließen.

 

Vor ca. 3 Jahren bereitete ich das Thema:

 

·        Prävention im Alter – Gesundheitsförderung ab 60

·        Krankengymnastische Ziele und Maßnahmen

 

für den Unterricht vor. Die wenigen aktuellen Daten dafür fand ich damals in ein paar Aufsätzen im Internet und in spärlicher Fachliteratur. Heute erschlägt einen der Infomarkt mit Statistiken und Zukunftszenarien bzg. Alter und Gesundheit. Beim Beschäftigen mit dem Thema, wurde schell die gesellschaftspolitische Brisanz für unsere Zukunft und  der aktuelle Bezug zu Bad Pyrmont deutlich.

Dass viel mehr Menschen als sonst viel älter werden wissen sicher alle aus den Medien, Dass diese vielen älteren Menschen auch leistungsfähiger und gesünder sein werden als ihre Vorgänger ist vielleicht nicht so bekannt.

 

Gesundheit bedeutet im 3. Lebensabschnitt nicht nur die Abwesenheit von Gesundheit sondern auch dass ein subjektives Wohlbefinden vorhanden ist trotz körperlicher und funktioneller Einschränkung.

Nun findet die Gesundheitsentwicklung nicht nur auf der körperlichen Schiene statt sondern auch auf 2 weiteren Ebenen, der psychischen und der sozialen.

Beide Ebenen sind eng miteinander verknüpft und bedingen sich gegenseitig.

 

Normalerweise sorgt ein familiäres Netz für eine soziale Einbindung. Störungen können auftreten, wenn z.B. der Schritt in die Berentung nicht gut vorbereitet wurde und sich statt ausgefülltem Rentnerdasein ein Gefühl von Nutzlosigkeit, Leere und Depression einstellt.

Auch eine plötzliche Verwitwung kann bei nicht Bewältigung der Situation zu Mutlosigkeit, Zurückgezogenheit, Antriebslosigkeit und Depression führen.

Diese negativen Entwicklungen können durchaus Indikatoren für die Entstehung von Krankheiten sein.


 

Das Fazit daraus ergab folgendes

 

·        Gesundheitsfürsorge im Alter bedeutet zum einen auf der körperlichen Ebene:

o       Risikominimierung, adäquate Bewegung, gesunde Ernährung, nicht Rauchen, etc.

·        Gesundheitsfürsorge im Alter bedeutet aber auch auf der sozio-psychologischen Schiene

o       Senioren mit in den Alltag einbeziehen

o       Senioren an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben lassen

o       Die Kultur des Alterns neu beleben

o       Begriffen wie Respekt, Würde und Anerkennung wieder etwas Positives abgewinnen

 

Wenn ich ehrlich bin hat mich die krankengymnastische Sichtweise lange nicht so interessiert wie die zukünftigen gesellschaftlichen Aspekte, die früher oder später auf alle von uns zukommen.

 

Und in Pyrmont war und ist dieses Thema aktueller denn je zuvor!

 

 

 

 

Wenn ich mich an meine eigenen Erfahrungen mir älteren Menschen zurückerinnere fallen mir einige einprägsame Beispiele ein.

Ich bin in Bad Pyrmont geboren und aufgewachsen, Wir wohnten mit 3 Generationen unter einem Dach, zur damaligen Zeit eine Selbstverständlichkeit. Meine Großmutter bildete unausgesprochen den Mittelpunkt der Familie. In ihren letzten Jahren litt sie stark unter arthritischen Beschwerden. Dennoch legte Sie großen Wert darauf, kleine Tätigkeiten im Haushalt zu verrichten, auch unter großen Schmerzen. Sie meinte nutzlos in der Ecke zu sitzen sei für sie wie eine Bestrafung.

Für mich war sie eine Integrationsfigur einmal - in Bezug auf die Familie wie auch auf Freunde und Bekannte. Sie scharrte mindestens einmal wöchentlich Menschen um sich herum  frei nach dem Motto – küm mal wea rüver un lot os mol över annere küren, se wern üser wohl ock gedenken.


 

Für mich als Kind und Jugendliche stellte sie die Basis der Familie da!

Bei der Erinnerung an meine eigenen Erlebnisse mit Senioren fielen mir einige Erlebnisse wieder ein. Natürlich hatte ich sofort meine Großmutter vor Augen, die meine Kindheit und Jugend begeleitet hat:

 

Eine weitere nachhaltige Erinnerung an Senioren habe ich als Jugendliche und Schülerin

In den    großen Schulpausen oder in den Freistunden trafen wir uns bei Tchibo. Die hatten damals Stehtische auf dem Bürgersteig an der Brunnenstraße. Die heutige Fußgängerzone war noch reguläre Verkehrstraße – man trank seinen Kaffee also mitten im Geschehen. Dabei ergab sich eine Situation, an die ich mich noch gut erinnere: Jemand erzählte einen Witz und wir alle lachten schallend los. Daraufhin näherte sich uns ein älteres Ehepaar, die schimpften und empörten sich über den Lärm und über unser Aussehen. Wie die Hottentotten würden wir aussehen, gammelig und ungepflegt. Und um dem Gezeter mehr Nachdruck zu verleihen stießen sie an den Tisch so dass jeder von uns eine Ladung Kaffee abbekam. Ziemlich sauer erzählten wir davon in der Schule und schließlich sagte unsere kurz vor der Berentung stehende Französischlehrerin Fr. Stemmler: versucht mal das Ehepaar zu verstehen. Wenn sich die Jugend so gammelig darstellt, macht man sich als älterer Mensch schon Gedanken über die Zukunft, die irgendwann mal von dieser Jugend gestaltet wird. Das stimmt einen nicht immer besonders zuversichtlich! Und ich für meinen Teil wurde ich euch gerne besser verstehen, z.B. würde mich schon interessieren, was die momentane Mode aussagen soll. Es nimmt sich nur leider niemand die Zeit, mir zu erklären, warum nun ausgerechnet der Gammellook der letzte Schrei ist.

Zu meiner Betroffenheit muss ich sagen, wir haben den Versuch, Fr. Stemmler aufzuklären gar nicht unternommen  - aber auch deshalb nicht weil wir selbst keine Erklärung dafür hatten.


Ich erinnere mich an eine weitere Episode mit einem Senior, die ich gemeinsam mit meinem damals 3 jährigen Sohn Sebastian erlebte. Wir beide waren in der Fußgängerzone unterwegs mit Kinderrad mit Stützrädern. Plötzlich schoss ein älterer Herr auf meinen kleinen  Sohn zu, herrschte ihn an – hier sei Radfahren verboten und fuchtelte furcht erregend mit seinem Schirm in der Luft herum. Mein Sohn reagiert nicht sofort, was den Herrn dazu veranlasste, seinen Schirm in die Speichen des Rades zu stecken und damit eine Bruchlandung von Sebastian zu verursachen. Er weinte bitterlich, während der Mann sich ohne Anzeichen von Betroffenheit vom Tatort entfernte immer noch schimpfend. Nach einer Weile sprach mich eine Dame an, die das Ganze beobachtet hatte – „was eben geschehen ist, ist unentschuldbar. Dennoch sollten sie wissen, dass dieser Mann nicht immer so war. Ich kenne ihn schon viele Jahre, er wohnt eine Etage über mir. Als seine Frau noch lebte, war er freundlich, zuversichtlich, charmant und hilfsbereit. Nach dem Tod seiner Frau isolierte er sich immer mehr. Selbst der Kontakt  zu seinen Kindern und engsten Freunden ist  fast abgebrochen, weil sich niemand mehr dieser Aggressivität und den Beleidigungen aussetzen möchte. Und nun scheint er auch noch gewalttätig zu werden“.

 

Ich weiß noch, dass ich trotz meiner Empörung auch Betroffenheit und Mitleid mit dem Mann empfand.

 

Kurze Zeit später ging ich mit Mann und Sohn für 1 Jahr nach Ägypten. Die Familienkultur, die wir dort antrafen und speziell der Umgang mit der älteren Generation hat mich tief beeindruckt. Es ist selbstverständlich, dass die Grosseltern im Kreis der Familie bleiben. Solange sie gesund  und aktiv sind verrichten sie kleine  Tätigkeiten im Haushalt und pflegen den Kontakt mit Freunden und Nachbarn. Werden sie hilfsbedürftig und gebrechlich, pflegt sie die Familie. Egal  in welchem gesundheitlichen Zustand sie sich befinden – sie werden respektvoll als Mittelpunkt der Familie behandelt und können würdevoll ihr Altern erleben.

 

 


Nun zu meinen beruflichen Erfahrungen mit Senioren. Als Krankengymnastin erlebt man natürlich viele Situationen mit älteren Menschen besonders bei Hausbesuchen, die einen nachdenklich stimmen.

Da gibt es den bettlägerigen und stark hilfsbedürftigen älteren Menschen, der von seinem Ehepartner zu hause gepflegt wird. Häufig habe ich eine persönliche Aufopferung des vermeintlich gesunden Partners beobachtet, die teilweise bis zur totalen Erschöpfung und Selbstaufgabe führt. Angebotene Hilfe oder die Aufforderung, auch mal an sich selbst zu denken werden häufig ignoriert.

Ich erinnere mich an eine kleine, zarte Frau, die ihren schwerkranken Mann bis zur Selbstaufgabe pflegte. Vor der Erkrankung des Mannes spielten beide leidenschaftlich gerne Karten. Nach der Erkrankung war es für die Frau tabu, sich um ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu kümmern, also auch nicht um eine(n) adäquaten Partner(in) zum Kartenspielen. In meiner Nachbarschaft lebte sehr zurückgezogen eine allein stehende Dame mit derselben Kartenleidenschaft. Die hab’ ich angesprochen und dann mitgenommen. Während ich den Mann behandelte spielten die beiden Damen Karten. Alle Beteiligten hatten Glück, denn es baute sich eine jahrelange Spielbeziehung auf, die Allen gut tat.

Lassen Sie mich noch kurz von der verzweifelten Dame erzählen, der eine schwere Hüftgelenkoperation bevorstand. Ihre Kinder, die weit entfernt lebten, hatten beschlossen, Ihrer Mutter etwas Gutes zu tun, indem sie ihr einen Platz in einem Seniorenheim besorgten. Die alte Dame war sehr unglücklich darüber und fühlte sich bevormundet und abgeschoben. Nach der gut verlaufenden Operation wollten die Lebensgeister der sonst so lebendigen und unterhaltsamen Frau gar nicht wiederkehren. Jedem therapeutischen Fortschritt folgte sofort ein Rückschritt.

Sie weigerte sich, gesund zu werden.

Ich kannte damals eine arbeitslose Altenpflegerin, die sich durch schweres Heben einige Bandscheibenvorfälle zugezogen hatte. Sie war gerne bereit, leichte Pflegetätigkeiten bei der nicht gesundwerden wollenden Dame in deren alten Wohnung zu verrichten. Daraufhin machte die alte Dame gesundheitliche Fortschritte. Übrigens ist aus der zeitlich  begrenzten Pflegesituation ein dauerhafter Familienanschluss für die alte Dame geworden, sehr zur Freude Aller.

 


Und dann erlebe ich bei den Hausbesuchen die ganz  fitten Senioren(innen), sie sind voller Energie, sind dynamisch, kreativ und agil. Sie stecken voller Know-how und Wissen und würden gerne Jüngere unterstützen, beraten oder betreuen. Die Jungen erfahren nur häufig nichts von diesem Potential, weil davor zurückgeschreckt wird, die eigenen Fähigkeiten anzubieten, es könnte ja als ein Anbiedern ausgelegt werden.

 

Ich bin der Meinung, die fitten Senior(innen) sollten von unserem Interesse an ihrem Wissen und Know-how erfahren und ich hoffe, dass die j@ Börse viele Kontakte in dieser Beziehung herstellen kann.

 

 

Aus den geschilderten Erinnerungen und Erlebnissen entstand der Wunsch die vorhandenen Ressourcen und Potentiale in Pyrmont miteinander zu verknüpfen.  

 

·        Ich wollte in Pyrmont etwas gegen Isolation und für Integration von Senioren und anderen Menschen tun, also Jung und Alt zusammenbringen

 

Dazu musste ich erst einmal herausfinden, auf was für eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Infrastruktur ich in Pyrmont im Jahr 2001 treffen würde. Dies sah dann folgendermaßen aus:

 

·        Pyrmont hatte 2001 34% Einwohner, die über 60 Jahre alt waren, ein Szenario das 2020 im ganzen Land anzutreffen sein wird.

·        Höchste Arbeitslosenquote im Kreis

·        Ansteigende Konflikte bei Kindern und Jugendlichen und damit erhöhte Anforderungen an den Kinderschutzbund und Gründung eines Präventionsrates

·        Pyrmont als Wirtschaftsstandort für die weiße Industrie gefährdet durch Schließung von Kliniken und eventuell eines Krankenhauses

·        Hohe Anzahl von fitten und agilen Senioren(innen), deren Ressourcen ungenutzt blieben, weil kein Bedarf erkennbar war

 

Dieses waren alles Punkte, die man gut miteinander verknüpfen konnte, um z.B. defizitäre Bereiche zu beleben und zu unterstützen oder vielfältige Verbindungen zu schaffen, um gesellschaftliche Integration zu fördern oder vorhandenes Know-how und Wissen abzufragen zur Bereicherung der Wirtschaft.

 


Der Thementisch

 

Nun galt es herauszufinden ob und wo Bedarf bestand und welche Vernetzungen sinnvoller Weise angestrebt werden sollten. Also gründete ich vor 2 Jahren den Thementisch, deren Mitglieder sich aus Vertretern der oben genannten Bereiche zusammensetzten.

 

 

¨     Gabi Alder,                             Kommunikationszentrum

¨     Graciella Boaro Titze      Integrationsrat

¨     Andrea Dülm                  Sozialausschussvorsitzende im Pyrmonter  Rat

¨     Hr. Grondmann              Leiter der KP Schule, Georgskrankenhaus

¨     Karsten Hermsen            AIPB

¨     Fr. Krieger                     Kinderschutzbund, 1. Vorsitzende

¨     Marita Lies                     AIBP

¨     Prof. Rehn                     Rentner im Unruhestand,

Internist mit gerontopsychischen        Interesse

¨     Fr. Schröder                           Seniorenbeirat

¨     Klaus Titze                     Präventionsrat

¨     Ulrike Vogelsang            PT und Lehrkraft an der PT Schule

 

Nach einem Jahr des Kennenlernes und der Überlegungen und Diskussionen entschieden wir uns an die Öffentlichkeit zu treten und zu gewissen Themen Stellung zu nehmen. Die Diskussion über die Demenzklinik, die am Bomberg entstehen sollte hat auch den Thementisch beschäftigt. Hr. Prof. Rehn hatte freundlicherweise einen Vortrag über Demenz gehalten und wir beschlossen uns an Hr. Bürgermeister Dehmut und die Ratsmitglieder zu wenden. Ein Austausch der Meinungen kam nicht zustande, weil das Projekt nicht weiter verfolgt wurde.

 


Schließlich überlegten mein Mann und ich, welche sinnvollen Schritte und welche Form eine aktive Vernetzung von Senioren/innen mit anderen Lebensbereichen in Pyrmont/Lügde haben könnte und kamen zwangsläufig auf das Thema Internet.  

Wir wollten eine Plattform für die Wünsche oder Anliegen und auch für Angebote schaffen, die ausschließlich für Pyrmonter/Lügder Bürger installiert werden sollte.

Die Nutzung sollte leicht handhabbar sein, es sollte übersichtlich sein, auf das Wesentliche reduziert und ansprechend in der Farbgestaltung. Auf alles Verwirrende und Unnötige sollte verzichtet werden.

 

 

Jetzt schauen Sie selbst, was dabei herausgekommen ist!

 

 

 

 

 

 

 

Grüsse von Prof. Opaschowski, Freizeit und Altersforscher

 

Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Zukunftsprojekt "Stadtfamilie" in Bad Pyrmont:

Ein zukunftsweisendes Vorhaben. Statt Generationenkrieg heißt es bei Ihnen eher Kooperationsbörse. So muss es sein. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg und verbleibe

 

mit den besten Grüßen aus Hamburg

Prof. Dr. Horst W. Opaschowski